Dienstag, 27. Oktober 2015

2015_10_27 drittes Mal im Radio

Heute rief Hitradio Ohr an und wollte ein drittes Interview.
Habe ich gerne gegeben und vieles gesagt, weil es so viel zu erzählen gibt. Unter anderem, dass es genial wäre, wenn ein weiterer Van sich uns anschließen würde.
Vielleicht kann man dadurch Leute ermuntern mitzumachen?

Ich bin gespannt auf Feedback aus dem Beitrag.
Möchte eh noch gerne die Beiträge hören. Die anderen beiden Interviews gab ich noch auf der Tour.



2015_10_27_10 so viele Hände

So viele Hände rühren im Hintergrund mit. Es ist genial, dass ich so viel Unterstützung habe.
Wenn ich nach Hause komme, stehen meist Kisten und Säcke vor der Haustür. Gefüllt sind sie mit Schuhen und Socken und Jacken und allerlei Brauchbarem - Wunderbar!

Da glaubt man wieder an das Gute in den Menschen :-)  
Nur das Geld für den Van und die Spritkosten, das bekomme ich hoffentlich durch Spenden rein. Vielleicht auch im Rahmen des Vortrags? Irgendwie wird es schon werden.

Die andere Sorte Mensch, erkennbar am Aluhelm, ignoriere ich derweil.
Es ist schlicht Energieverschwendung, sich über den braunen Mob aufzuregen oder sich gar auf hitzige Debatten einzulassen, da sie zudem meist nicht sachlich verlaufen. Habe Wichtigeres zu tun.


Der Kater bleibt da.

Eine Ladung Hilfsgüter.

Und die nächste Ladung Güter wird gleich ausgeladen!

Dankeschön!!!



Samstag, 24. Oktober 2015

2015_10_24 Kasper überregional im SchwaBo

Unser Armin Schulz führte dieser Tage ein Interview mit mir.

Komisch. Normaler Weise halte ich die Interviews und fotografiere :-)

Heute, am Samstag, gibt es im SchwaBo ein neues Layout. Ich schlage auf und finde mich mit dem Kasperle in der Hand auf der "Dritten Seite" - überregional.
Über der AfD.
Was für eine Ehre.
Ich wurde gebeten, den Artikel hier zu veröffentlichen und denke, es geht in Ordnung.

Wäre super, wenn der Bericht andere ermuntert zu helfen. 



 



  

Freitag, 23. Oktober 2015

2015_10_23 Erste Spenden trudeln ein

Es geht los.
In meinem Hausgang stehen die ersten Kleiderspenden.
Eine Schenkenzellerin bringt mir zwei Säcke Schuhe! Super!!!
Gleich fahre ich Socken abholen.
Ein Paket mit Schuhen wartet für mich auf der Post.
Eine Frau will Babynahrung kaufen. 
Eine andere Helferin richtet im Kreis Freudenstadt eine Sammelstelle ein.  

Gestern wurde eine Anfrage auf Facebook zerrissen, weil jemand Fahrräder für Flüchtlinge in Schenkenzell suchte. So viele alte Geppel stehen in den Kellern herum, oder?
Heute Morgen gestand mir der zehnjährige Mohammed, dass er von einem Fahrrad träumt. Das Wort "Fahrrad" kann Mohammed schon schreiben :-)

Das Allerbeste des Tages ist:
Ich bekomme eine kompetente Mitfahrerin, die sich total auf die Tour freut. Wunderbar :-) 

 

Donnerstag, 15. Oktober 2015

2015_10_15 Salem in der Heimat

Mein eigenes Bett war wunderbar.
Heute muss ich den Sprinter zurück nach Pforzheim bringen.

Ich erfahre, dass am Nachmittag Flüchtlinge nach Schenkenzell kommen sollen. Eine erste gute Unterkunft in der Ortsmitte wurde gefunden.
Da will ich hin und sie begrüßen.

Vor der Unterkunft treffe ich unseren Bürgermeister. Drei Kinder aus dem Dorf kommen angelaufen.
"Du, Herr Bürgermeister, kommen die neuen Kinder gleich wieder raus auf die Straße? Wir wollen weiterspielen!"

Mein Herz macht Freudensprünge.

Hoffentlich klappt das auch in der Bevölkerung.

Im Hintergrund finden sich derweil Paten und freiwillige Helfer, die mit viel Herz nach dem Rechten schauen.

Salem liebe Refugees in Deutschland!
  



Mittwoch, 14. Oktober 2015

2015_10_14 München Hauptbahnhof

Meine nächste Station ist der Hauptbahnhof in München.


Text folgt noch mit Eindrücken aus München....

......



Via Facebook erfahre ich, dass Magdy, der Geiger, in Meßstetten untergebracht wurde.
Ist das möglich?
Das ist nur ein Katzensprung von mir entfernt.
Wunderbar!
Und ich will Magdy Geige spielen hören.


Während der Heimfahrt keimt die Idee in mir auf, dass ich über das Projekt, über das Camp, über die Frauen, Männer, die Alten und die Kinder, die Verletzten, einen Vorträge halten sollte.
Die Welt muss davon erfahren um zu verstehen.

Himmel, der Winter kommt.
Wir müssen die Flüchtlinge retten!
Wir dürfen die Menschen doch nicht vor der Haustür sterben lassen.
Was für ein Hohn, wenn Weihnachten naht und alles unter dem Christbaum hockt. Es wird daran erinnert, dass Maria und Josef nur eine Unterkunft im Stall fanden.
Leute, im Ernst, wacht auf! Abdul und Sidra wären froh, sie hätten einen Stall !

Warum kann man nicht einfach die viel zu leeren Kirchen als Flüchtlingsunterkünfte öffnen? 


Man darf die Menschen nicht sterben lassen. Nicht vor meiner Haustür, nicht in den Gemeinden, nicht in den Landkreisen, nicht in den Ländern, nicht in den Staaten.

Und nicht in der EU!





   



Dienstag, 13. Oktober 2015

2012_10_13 Westbahnhof Wien

Es klopft an die Scheibe meines Sprinters. Emil grinst dahinter und winkt mit der Espresso-Kanne.
Ich krieche aus den Federn und bin nach kurzer Zeit bei meinem guten Nachbarn, einen Abschiedskaffee schlürfen. Heute trennen wir uns endgültig.
Ein Drücken. Machs gut. Take care!

Emil düst Richtung Bayern ab. Ich fahre Richtung Maribor in Slowenien und nehme später Kurs auf Wien.



Radio Hit Antenne Ohr will 13 Uhr ein zweites Interview mit mir. Meine Handyrechnung wird sicher lustig.

Während der Fahrt beschließe ich, dass ich nochmals nach Südeuropa fahren werde. Speziell möchte ich Schuhe und Socken sammeln. Ein Sprinter voller Schuhe, das wärs :-)

Irgendwann treffe ich in Wien ein und das wieder funktionierende Navi führt mich zum Westbahnhof.




Im dritten Stock des Parkhauses ist Platz für Familien geschaffen worden. Ich sehe Kinder spielen und sie tragen Schuhe. Gute warme Schuhe. Mit Socken! Das überwältigt mich echt, aber dieses Mal vor Freude.

Via WLAN melden sich die Gestrandeten bei ihren Angehörigen. "Alles okay, ich bin in Wien. Es geht mir gut". Ein Syrer sitzt unter einer Europakarte und studiert eine weitere Karte. Ich fotografiere die Szene und frage danach, ob ich das Bild verwenden darf. Ich darf. Er erzählt mir seine Geschichte. Er ist Sportlehrer. Von der Türkei aus schwamm er auf die nächste griechische Insel. Fünf Kilometer lagen vor ihm. Aber nach drei Kilometern ging ihm die Kraft aus. Ein griechisches Boot mit Touristen fischte den Syrer aus dem Meer, rette ihn. Er ging die Balkanroute entlang. Sein Ziel ist Italien. Er möchte gerne in Rom leben. Wann fährt der nächste Zug von Wien nach Rom?  



Angekommen.... und nun?

Mohammed Hussein stammt aus Afghanistan und ist seit einem Tag in Wien angekommen. Wie gefällt ihm Europa nach dem ersten Tag? Er mag die bunten Menschen, das Essen, die Häuser, das Treiben...

Warum verließ der junge Mann seine Heimat? Sein Vater und zwei Brüder wurden von den Taliban ermordet. Er wollte nur weg. Etliche Zeit brauchte Mohammed Hussein von Afghanistan  aus bis in die Türkei. Mit dem Boot fuhr er nach Griechenland, aber alles lief gut. Mohammed nahm die Balkanroute. Er möchte nach Deutschland for a better life. Er möchte weiter studieren, Ingenieurwesen. 






Hasan Abdullah kommt aus Afghanistan und mochte nach Belgien oder Schweden. Er hat seine Frau und fünf Kinder dabei. Der vierjährige Hassan klebt an seinem Bein. Er ist Mechaniker und möchte gerne in seinem Beruf arbeiten. Afghanistan - Iran - Turkei - die gefährliche Reise mit dem Boot nach Griechenland - Mazedonien - Serbien - Kroatien - Ungarn - Österreich - Wien Westbahnhof.
Ich werde gefragt, ob es in Deutschland gut zu leben ist.
Was antworte ich?
Nun, wenn er sich als Mechaniker gut anstellt und einen fairen Chef findet, dann hat er sicher gute Chancen.   




In Österreich findet Abdul aus Irak die Leute manchmal zu verrückt. Er kam erst vor wenigen Stunden mit seiner Familie hier an, sagt er. Er wird plötzlich ganz ruhig.
Alles stürzt auf ihn ein. Die Flucht kommt hoch. Er hat so unendlich viel Schlimmes hinter sich. Das Boot, das Laufen, Durst, Hunger, das Leiden der Kinder. Abdul hatte auf der Flucht irre Sorge um seine Kinder, um seine Frau. Kommen alle lebend an? Er hat Angst davor, was ihn hier in Europa erwartet. Da sitzt er in den noch schlammdreckigen und verschwitzten Klamotten.
Kann er in Europa mithalten? Die gut gekleideten Menschen laufen geschäftig an ihm vorbei, Aktentaschen unter dem Arm oder Handtaschen über der Schulter.
Abdul wendet sich zur Seite, damit ihn die Kinder nicht sehen. Er weint leise.






Ein Mann kommt lachend auf mich zu. "I know you", sagt er und zeigt mit dem Zeigefinger auf mich. Mit dabei hat er zwei Jungen und ein kleines Mädchen. Ich erkenne ihn auch wieder. Die Welt erweist sich wieder als Dorf. Es ist der Vater, den ich in Zakany/Ungarn mit seinen Kindern im Zug fotografiert habe. Endlich ist Zeit für ein längeres Gespräch. Khalil heißt er und er ist Künstler.
Wo ist es gut zu leben in Deutschland, werde ich gefragt.
Himmel, was sage ich da?
Ich empfehle ihm, dass er möglichst im Süden bleiben soll. Vielleicht ist für ihn die Ecke um Freiburg im Breisgau gut?
Hier in Wien traf Khalil seinen Neffen, der bereits vor einiger Zeit flüchtete und inzwischen gut Deutsch spricht. Wir machen Fotos, die ich seinem Neffen per Whatsapp auf das Handy schicke.  Hoffentlich geht alles gut mit der Familie und die Mutter kann bald mit dem Flieger nachkommen. Ich hoffe, ich höre noch von Khalil.
  

Khalil mit Sohn und Tochter in Wien. Be welcome!

In Facebook lese ich, dass Magdy, mein Geiger aus Opatovac, in Deutschland angekommen ist. Fünf Tage länger dauerte demnach seine Odyssee. Ich schreibe darunter "Be welcome :-) "
Später erfahre ich, dass Magdy in Meßstetten untergebracht wurde.
Ist das möglich? Das ist nur ein Katzensprung von mir entfernt. Wunderbar!
Ich will Magdy Geige spielen hören.


Familien können sich in Wien im dritten Stockwerk des Parkhauses aufhalten. Kinder die vor ein paar Tagen noch im Schlamm und Regen steckten, spielen jetzt im Warmen und sind satt. Ich stehe da und heule Freudentränen. 









Montag, 12. Oktober 2015

2015_10_12 Ungarische Grenze, Zakany

Am Vorabend fuhr ich noch von Tovarnik nach Ilok an den äußersten Zipfel des Landes. Einen ruhigen Schlafplatz finde ich direkt an der Donau.



Ich weiß, dass mein Ziel heute der ungarische Grenzübergang bei Zakany sein soll. Rund 300 Kilometer liegen vor mir. In einem Weingut kaufe ich noch ein paar Liter Rebensaft - man muss die Bevölkerung unterstützen ;-)


Auf dem Rückweg fahre ich nochmals an Opatovac vorbei. Sehe die Busse, die Zelte, das Militär. Ich stoppe nicht.
Das Navi redet Quark und so fahre ich nach der Karte. Irgendwie haben wir das früher immer so gemacht. Bald schon komme ich an die Grenze nach Ungarn und darf dann gleich fast zehn Euro Autobahngebühr berappen, der Tagtessatz für den Sprinter. Weiter geht es bald nur auf der Landstraße über ärmlich wirkende Dörfer. Die Häuser sehen schlimm aus, oft sind sie ganz verlassen. Wäre ich hier, bräuchte ich als erstes einen Baumarkt.

Abends treffe ich in Zakany ein. Ich frage nach den Flüchtlingen und werde in die nächstgrößere Stadt geschickt. Dem Rat folge ich nicht und das ist gut so. Ich sehe eine dunkle Gasse die sicher zu Bahngleisen führt. Die fahre ich rein.

Bei den Bahngleisen stehen zwei Jungs. Habt ihr hier Flüchtlinge gesehen? Entlang der Gleise liegen Sardinendosen, gebrauchte Windeln und zerfledderte Regencapes.

Ein Mann kommt über die Schienen gelaufen, interessiert sich für mich. Ich sage ihm, dass ich mit einem Hilfstransport in Opatovac komme.
Sein Gesicht leuchtet auf: "HAST DU ESSEN DABEI?".
Nein, leider nicht. Er ist auch freiwilliger Helfer beim Roten Kreuz aus dem Ort. Das Elend ist für ihn kaum mehr zu ertragen.

Im Augenwinkel sehe ich ein weißes Auto anfahren. Jetzt gibt es sicher gleich Zoff und ich werde verjagt. Ich versuche noch, so viel Infos wie möglich zu bekommen und weiß, dass eine Person auf uns zu geht. Irgendwann drehe ich mich doch um.
Da steht der Emil, grinst mich breit an und sagt: "Man sieht sich immer zwei Mal".
Gibt es das? Quer durch Ungarn und im letzten Loch eines Orts treffen wir uns wieder.
Da kommt ein Zug und etliche Flüchtlinge winken raus. Kurz hält die Lok.
Die Menschen rufen "Danke" und "Thank you". Weswegen eigentlich?
Ich zücke den Kasper aus der Tasche.
Ein Mann und seine zwei Kinder schauen aus einem Fenster raus. Ihre Augen leuchten.
Wo kommt Ihr her? - Syria
Wo wollt Ihr hin? - Alemania
Sind das Deine Kinder? - Ja
Wo ist deine Frau? - Sie blieb zu Hause, sie ist krank und soll mit dem Flugzeug nachkommen.
Darf ich ein Foto von Euch machen? - Ja
Habt Ihr genug zu Essen? - Nein, wir haben Hunger.
Habt Ihr genug Wasser? - Ja, das ist ausreichend da.
Gibt es Toiletten? - Längst nicht ausreichend und der Zustand ist verheerend.   
Ich muss weiter. Machts gut! Passt auf Euch auf! Take care! Bye, bye!
Ich laufe mit Kasper den Zug entlang. Die Kinder flippen aus. Die Erwachsenen lachen.
Der Zug fährt los. Wohin?
Irgendwo an den St. Gotthard wohl, sagt jemand.

Emil und ich wollen weiter den Bahnhof erkunden wollen.
So große Schlaglöcher habe ich noch nicht gesehen. Der Regen der vergangenen Tage füllte sie mit Wasser. So gut es geht fahren wir Slalom rund um und quer durch die gigantischen Pfützen. Hoffentlich wird mein Sprinter innen nicht nass.
Hallo Ungarn, wie wäre es mal mit einer Ladung Schotter?

Vor einem Bahnübergang parken wir, der Emil und ich, mit unseren Sprintern. Wir überqueren die Schienen. Dort entdecken wir einen Pavillon. Ein Mann mit gelber Warnweste richtet darin Essenspakete. Kollegen quasi. Sie sind auch als Volunteers aktiv.  Ein junger Mann aus Berlin ist dabhei. Er ist arbeitslos, hat eh gerade Zeit und will sie sinnvoll füllen.
"Habt Ihr Essen dabei?" - Leider nein.
Die Volunteers bekommen auch Essensspenden aus der Bevölkerung. Es gibt eine ganze Menge guter Menschen in Ungarn, die das Elend auch nicht mit ansehen können.

Wie kommen die Flüchtlinge an den Bahnhof?
Wir sehen einen matschigen Weg. Er ist aufgeweicht und schlammig vom vielen Regen. Knöcheltief sinkt man hier in den Boden ein. Mir fällt die alte Frau ein, die keinen Schritt vor den anderen setzen konnte und einen Rollstuhl brauchte. Das Mädchen in den Hausschuhen. In Gedanken sehe ich den kleinen Buben mit seinem noch kleineren Bruder an der Hand durch den kalten Matsch stampfen. Der alte Herr mit der Silberbrille. Vielleicht konnte er sich an jemandem festhalten?
Ich denke an den Einbeinigen auf Krücken. Der stand vor ein paar Tagen in Opatovac im grünen Sektor, angelehnt auf seine Krücken. Um ihn herum standen ein paar Freunde. "Wie siehst du denn schon wieder aus?", sagte ich seufzend mit meinem badisch-schwäbisch-Mix und es war mir egal. "Da stehst Du mit der dreckigen Jogginghose über dem heilen Bein. Und der Kittel ist auch noch zu dünn. Du brauchst eine Jacke mehr, frierst doch. Was ist überhaupt mit deinem Bein passiert?" - Push, bomb, in Syria. Er zuckt die Schultern. Seine Freunde sahen genauso zerlumpt und müde aus, aber wenigstens waren sie noch komplett. Wie er so da stand auf seinen Krücken... Dieser Scheiß Krieg. Mir kullerten die Tränen über die Wangen.
"Sorry Madame,... for us...", sagte ein Kumpel und zeigte in die Runde. Ich winkte ab. "I'm a journalist in Germany", gestand ich. - "Please Madame, write about all these things here", bittete mich ein anderer Freund. Ich schaute ihnen in die Gesichter und nickte!     

Aber wir stehen am Schlammweg am Bahnhof in Zakany. Daneben stehen drei Klobolde. Die Flüchtlinge dürfen dort nicht ihre Notdurft verrichten. Die Klobolde sind nur für die Polizisten.
Dürfen wir den Flüchtlingen entgegen gehen? Sie am Grenzzaun abholen und begleiten?
Dürfen wir nicht, erklärt uns die Polizei.
Ein junger Polizist spricht Deutsch. "Wie denken Sie über die Entscheidungen Viktor Orbans?", frage ich frech. Einen Moment ist Pause. Dann sagt er, dass er sich dazu nicht äußern will. Überrascht bin ich nicht. Das Mitleid mit den Menschen sieht man dem Polizist an. Man sieht es allen an, die mit den Flüchtlingen arbeiten - sofern ihre Herzen keine Steinklumpen sind.
Wann treffen die nächsten Flüchtlinge ein? Um 23 Uhr, teilt man uns mit.

Emil und ich schauen uns an. Das wird zu spät. Wir müssten noch zweieinhalb Stunden warten. Wir gehen.
Mit den Sprintern schaffen wir es wieder über den Schlaglochweg hinaus. Nach zwei drei Orten findet Emil einen guten Stellplatz für uns. Wir stehen zwischen zwei verwaisten Bussen und unterhalb einer hübschen Kirche. Emil lädt mich zum Abendessen ein, ich habe noch vier Dosen Bier im Auto. Wir essen viel zu viel, trinken und irgendwann verziehe ich mich in mein Revier.
Vor meinen Augen sehe ich vor mir diesen schlammigen Weg in Zakany und eine schwangere Frau stürzt gerade in den Morast.     
  



















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Sonntag, 11. Oktober 2015

2015_10_11 zerschossenes Vukovar und Abtransport am Bahnhof in Tovarnik

Mit Willem aus Belgien schiebe ich die Schicht von 3 bis 6 Uhr.
Es läuft anfangs ruhig.
Der grüne Sektor wurde geleert. Unsere Klamottenkisten weisen auch gähnende Leere auf. MIt dem Schubkarren besorgt Willem mehrere Fuhren Nachschub.
Wie geht es den durchnässten Menschen der vergangenen Nacht jetzt?

Es drängt mich nach der Schicht. Ich muss weg und ich brauche den Kopf frei. Personell ist das Team gut besetzt. Ein Kaffee, ich packe, verabschiede mich und fahre los.

Wohin eigentlich?  
Am Ende des Weges entscheide ich erst, dass es Richtung Vukovar gehen soll. Ich werde mir die Überreste des Krieges anschauen.
Um  kurz nach 12 Uhr stehe ich an einem Friedhof vor unzählöigen weißen Kreuzen. 938 Menschen wurden ermordet und im zweitgrößten Massengrab Kroatiens verbuddelt. Darum herum wurden leere Gräber für die vermissten Personen angelegt. Eine Gruppe Veteranen läuft mit einer Fahne ein und legt einen Kranz nieder. Es regnet.
Auch an den Kroaten passierten schreckliche Morde. Aha, deshalb ist das Verständnis der Kroaten für die Syrer so hoch? 
Verrückt, dass ausgerechnet hier die heutigen Kriegsflüchtlinge stranden. Die Wege kreuzen sich.
Ich friere.
So viel Leid passierte hier. Das Land schrie vor Schmerz. Welchen Unsinn Kriege doch sind.

Ein Wachposten vom Friedhof erzählt mir, dass seine Eltern mit ihm damals nach Deutschland flüchteten. "Ich war selbst ein Kriegsflüchtling". Die Familie lebte bei Überlingen am Bodensee. Nach ein paar Jahren zogen sie zurück in die Heimat.



Veteranen

Namenlose Gräber für die Verschollenen.

Denkmal für die Toten.

Weitere Opfer.



Massengrab


Ich fahre weiter nach Vukovar und zücke erstmals meine große Kamera. Es regnet noch immer, aber trotzdem fotografiere ich die zerschossenen Häuser und den Wasserturm. Ein Eckhaus ist eine besonders mitgenommene Ruine. Die Fenster wurden mit Geranien geschmückt.
In einem Restaurant daneben trinke ich einen Kaffee und esse eine Kleinigkeit.
Wie gehe ich weiter vor?



Blumenschmuck am zerschossenen Haus.




Heute Abend werde ich nach Tovarnik an den Bahnhof fahren. Ich möchte sehen, wie die Flüchtlinge von dort aus weiter fahren.
Um 17.30 Uhr treffe ich am Bahnhof ein und parke frech auf dem besten Platz und direkt neben der Polizei. Ich warte 2,5 Stunden und nicke ein. Ich habe meine Regenjacke an, die Weste als RC-Helfer darüber. Ein Polizist schaut fragend zu mir herein. Ich halte ihm meinen Ausweis vor die Nase. Er nickt freundlich. Im Polizeiwagen tönt laute Rockmusik aus dem Radio. Ich grinse breit.

Es regnet noch immer und ich stelle mir vor, wie die Menschen wieder durchnässt im Regen warten. Alle stehen unter immensem Stress. Dasselbe wahnsinnige Spiel beginnt von vorn. Die Flüchtenden sind nur die Marionetten dieses Krieges. Marionetten mit Flipflops an den Füßen. Die Kälte sind sie nicht gewohnt. Manche haben noch nie Schnee gesehen.
Ich grüble darüber.

Warum findet der Abtransport nachts statt? Im Dunkeln. Es erinnert an eine Deportation, an Konzentrationslager. Andererseits sehe ich ein, dass bei 5500 Menschen täglich klare Ansagen nötig sind. Aber so hart?

Um 18.19 Uhr fährt eine Lokomotive mit minimum 14 Waggons ein. Die Spannung steigt.

Wie lange werde ich später geduldet werden?

19.42 Uhr fährt ein großes Polizeiaufgebot ein.

Um 20.04 Uhr fährt der erste Bus ein.
Es geht los.
Ich steige aus dem Auto.
Kasper kommt mit.

Kasper begrüßt die Kinder - und die Polizeibeamten lachen.
Die Familien suchen ihre Gepäckstücke und die Kinder zusammen. Stellen sich auf der linken Seite auf. Die einzelnen Männer stehen hintereinander auf der anderen Seite.
Die Familien sollen loslaufen. Für den Stand mit Toastbrot, Fischdosen, Obst und Wasser bleibt kaum Zeit. Der Regen weicht die Toastbrote auf. Hier wäre auch ein Pavillon sinnvoll.
Die erste Stufe in den Zug ist mindestens kniehoch. Wie schaffen das die Behinderten, die Kinder und vor allem die Alten?
Die erste Busladung ist im Zug und ich bekomme einen festen Platz zugewiesen.
Ein Polizist erzählt mir, dass er selbst als Flüchtling in Deutschland war. 1991 irgendwo bei Hannover kam er unter. Er spricht gut deutsch und freut sich, mich zu sehen. Ich bekomme sogar einen Kaffee spendiert und darf mich in einem Aufenthaltsraum mit einem Dutzend weiterer Polizeibeamter aufhalten. Ich lerne, dass die Polizei vom Volk geliebt wird. Die Polizei habe denselben Stellenwert, wie die Bundesliga für die Deutschen. 

Der nächste Bus kommt und das Prozedere beginnt von vorne. Insgesamt werden 30 Busse in dieser Nacht von Opatiovac nach Tovarnik an den Bahnhof fahren. Ihre Fracht sind 1700 durchnässte und verängstigte Menschen mit der Hoffnung auf ein friedliches Leben.     

 
Der Bahnhof von Tovarnik.


 


Samstag, 10. Oktober 2015

2015_10_10 heiße Duschen und ein Katastrophenabend


Ein super praktisch veranlagtes Team aus Niederösterreich ist angerückt. Die Leute haben mit Holz und Werkzeug ein geniales Lager aufgebaut. Das ist fast eine Zimmermannsarbeit. Wow.
Für den Abend sind 50 Helfer angemeldet. Wo sollen die alle hin? Okay, ein Großteil fährt weiter Richtung Presevo, Grenze Mazedonien-Serbien.
Heute Mittag darf ich mit einer weiteren Helferin bei einer Bekannten eine Dusche genießen. Nach zehn Tagen Katzenwäsche stehe ich einer heißen Dusche – und möchte am liebsten gar nicht mehr raus. Habe mir zur Feier des Tages frische Kleider gegönnt. Unsere Gesichter glühen. Der Körper reagiert angenehm schrill.

Kontrastprogramm:
Im Lager stehen die Kinder im Regen. Ich sehe einen Vater mit kleinem Mädchen auf dem Arm. Das Mädchen, etwa eineinhalb Jahre alt, es weint bitter. Ich beruhigte das Kind mit Kasper und zu meiner Überraschung ist es sogar still.
Da kommt ein Helfer vom RC mit einem Megaphon an und schreit den Vater nur einen Meter von ihm entfernt, er soll gefälligst dafür sorgen, dass sein Kind still ist.
Vollpfosten!
Die Kleine bricht natürlich wieder in Tränen aus. Aber das ist erst der Anfang.

Ein mehr als katastrophaler Abend folgt:
Die Leute stehen stundenlang im Starkregen. Die Regencapes sind längst zerrissen. Genügend Capes sind keine da, bzw. werden nicht ausgeteilt. Ich weiß nicht, warum das RC nicht mehr Capes verteilt. Warum greift Unicef nicht ein? Warum lässt man die Menschen nicht in den trockenen Zelten? Stattdessen stehen sie einmal mehr wie Vieh eingekesselt da. Fassungslos schaue ich zu und kann nichts unternehmen. 
Oder doch? 
Ich packe eine Schachtel und suche sämtliche Capes zusammen. In unserer Mode-Boutique geht gerade die Post ab, die wird bestürmt. Von dort kann niemand helfen.So verteile ich eben alle Capes die ich habe. Nur an Kinder. Sorry, ich habe nicht genugf davon. 

Ich renne zum RC. Ist das zu fassen? Die Helfer stehen an ihrem Platz herum. 
WO seid ihr? WARUM helft Ihr nicht? Kommt mit und packt an, fordere ich sie auf. 
Keiner reagiert. 
Ihr steht da, die Flüchtlinge brauchen dringend Hilfe. Und zwar genau JETZT. Kinder sind nass bis auf die Haut, die Füße in nassen Schuhen.
Und ihr kommt einfach nicht?
Ich fasse es nicht. 

Bin ich im falschen Film? 

Eine Gruppe Menschen wird wieder heraus getrieben, soll Aufstellung für den Bus nehmen. Die Haare sind längst klatschnass geregnet. Es ist kalt. Einige Leute aus der Gruppe sträuben sich. 
Warum das denn? 
Na klar, Familienangehörige sind noch auf der anderen Seite des Gatters. Bloß nicht noch die Familie verlieren. Die Polizei lässt die Vorangegangenen an der Seite warten.
Hoffentlich wird niemand zerquetscht.



Es regnet noch stärker. Wimmernd zerbrechen kleine Seelen. Narben werden wachsen, irgendwann. Aber welche Langzeitfolgen hat das Drama dieser heutigen Nacht? Besonders für die Kinder? 
Und das hier in Opatovac ist doch nur eine kleine Etappe auf dem Weg ins gelobte Land. In ein besseres Leben. Der widerlich braune Mob rumort derweil in Deutschland. 

Warum fahren die Busse nicht einfach?  
Der Stresspegel ist fürchterlich hoch.
Wenn die Busse endlich fahren, dann passieren sie zerschossene Häuser. Ist das nicht paradox? Da kommen die Menschen aus dem Krieg und fahren auf der Flucht noch an zerschossenen Häusern vorbei. 

Ein Kind steht vom Regen und mehr noch von den Tränen aufgeweicht im Gedränge, bekleidet mit Trainingshose, Pulli, ohne Jacke und mit blanken Füßen in den viel zu kleinen Turnschuhen. Vor lauter Panik erbricht sich ein Mädchen. Chaos pur...
 
Ein Polizist verliert die Nerven. Er treibt die auf ihre Angehörigen wartenden Menschen zusammen und drängt sie in den Bus. Ich fahre dazwischen. „You split familys!“, rufe ich mehrmals und mit Nachdruck. Der eine Polizist hört mir nicht zu, aber dafür andere seiner Kollegen. Der Stellenwert der Familie ist den Kroaten ein hoher. So trennt nur dieser eine Bus die Familien und nicht noch mehr.        

Mein Verstand meldet sich. 
Ich bin platt und muss schlafen. Mein Wecker wird um 2.30 Uhr klingeln.
Hunderte Menschen stehen noch im Regen. Ich fühle mich gänzlich zerrissen.   

Zusammengepfercht wie Vieh.

Über Stunden hinweg mit kleinen Kindern.



Freitag, 9. Oktober 2015

2015_10_09 Schuhe, Slivovic und Nachschub



Heute um drei Uhr morgens Dienst gehabt. Das bedeutet, dass der Wecker um 2.30 Uhr klingelt. Mit Emil habe ich die Schicht bis 6.30 Uhr absolviert. Eine Zeit lang war es ganz ruhig und wir haben aufgeräumt, dann ging die Post ab. Ich huste.
Mal wieder sind die Schuhe ausgegangen. Ganz schlimm, dass auch die Socken ausgegangen sind. Die Leute werden jetzt definitiv krank. Die Kinder leiden schwer. Man sieht die Strapazen allen an.

Emil lädt mich zum Frühstück in sein Womo ein. Mit frischem Espresso, mmmh…

Mit Emil gehe ich danach zum Einkauf nach Vukovar. Erst waren wir im Lidl, dann im Kaufland und schließlich auf dem Markt. Auf den Markt hätten wir eigentlich zuerst hingehen sollen, um die Bevölkerung zu unterstützen. Nächstes Mal.
Aber zurück in den Lidl. Kaffee, Milch, Gemüse, Praktiker Emil will Kürbissuppe kochen. Da ein Regal: Das stehen Schuhe im Angebot. Gute, feste stabile Schuhe, Größe 40 bis 44! Plötzlich sehe ich überall im Laden Menschen laufen – und alle tragen Schuhe. Warme Schuhe, welche mit Pelz. Saubere Schuhe. Bequeme Schuhe. „Wisst Ihr, wie gut es euch geht?“, möchte ich allen rufen.
Ich schaue auf meine Füße, die stecken in den dicken warmen Boots. Was bin ich für ein glücklicher Mensch! Die Schuhe vor mir möchte ich am liebsten alle kaufen und mitnehmen. Nachdenklich ziehen wir weiter.
 
Mit dem Kasper zu den Kindern gegangen und riesig Spaß gehabt. Den Ärzten von nebenan habe ich ein Stethoskop aus dem Bestand gebracht und noch weitere Medikamente. Die haben gejubelt.

Dann ist mein Sprinter gefordert und  wir räumen meine sieben Sachen aus. Gerne doch. Es heißt, wir sollen Richtung Tovarnik fahren, Hilfsgüter können wir dort abholen. Warme Jacken, Socken, Pullis, Kinderkleidung – und jede Menge guter Schuhe. Was für ein Glück!
Zu dritt düsen wir los. In einem Haus lagern etliche Kisten. KLASSE!
Vor dem Haus brutzelt ein Spanferkel über dem Grill. Morgen ist eine Hochzeit, schmunzeln zwei bärbeißige rustikale Kroaten verschmitzt. Probiert vom selbstgebrannten Slivovic! Wir widersprechen noch, als der Schnaps in die Gläser blubbert. Man ist ja nicht unhöflich. Živjeli   Prost.
Wir beladen weiter. Wollt Ihr noch einen? Nein….!
Der Sprinter ist voll und erst nach einem weiteren Slivovic dürfen wir – äußerst gut gelaunt – weiter fahren. Gut, dass die Polizei mit den Flüchtlingen gerade so eingespannt ist. Unsere Ladung ist ruckzuck entladen. Super.


Ab ins Camp.
Wo kommen wir hin? Werde ich immer gefragt. Was verflixt antworte ich da?
Ein syrischer Mann kommt auf mich zu. Sagt mir, sein Sohn ist taubstumm. Welches europäische Land ist besser für meinen Sohn? Deutschland oder Schweden?
Oh Himmel, was antworte ich? Ich überlege…. Deutschland ist nicht schlecht. Aber ich glaube, Schweden fördert Behinderte besser. Ich schicke ihn nach Schweden. Machs gut!    
Wo kommen wir hin? Eine Art Machtlosigkeit ist die Frage. Sie treiben im Strom und werden irgendwo an Land gespült. Allein der Rettungsring ist die Hoffnung auf ein besseres Leben. 

Warum kann die EU hier nicht zusammenhalten? Eine gute und menschliche Lösung für die Flüchtlinge finden?  

Wann kommen wir weiter?
Das kann mittags sein, aber auch nachts um 4 Uhr. Solange müsst Ihr mit den Kindern warten. Haltet durch.   
Wieso soll ich meine Fingerabdrücke abgeben? Was machen sie damit?  

Manchmal bin ich schon nah am Wasser gebaut. Könnte heulen vor Mitleid und vor Freude, wenn etwas gut läuft. Reiß dich zusammen.

Im Lager werden die Flüchtlinge kalt durchgeschleust. Sie wissen nicht, wann der nächste Bus kommt der sie weiter bringt. Es wird ihnen zwar offiziell gesagt, aber sie wissen trotzdem nicht, wohin sie kommen und was als nächstes passiert. Das Phlegma der Strapazen lässt sie nur noch mechanisch weiterlaufen. Sie essen das Toastbrot, die Sardinen und den Tunfisch aus den Dosen und ein wenig Obst. Frauen, Männer, Kinder.
Die Menschen schlottern eingehüllt in den grauen Decken vor sich hin. Kauernd warten sie ab, wohin die Polizei sie als nächstes dirigiert. Die ist oft nett. Aber vor Stress sind auch die Polizisten nicht gefeit. Psychische wie physischer Grenzerfahrungen gibt es für alle genügend.  

Am Ende bleiben Berge von Regencapes, Sardinendosen, Decken und alten kaputten Schuhe auf dem Boden liegen. Im nächsten Rutsch kommt der Reinigungstrupp in den Sektor. Alles wird aufgesammelt. Die Zelte werden desinfiziert und das ist auch gut so.
Bald erwarten sie neue Gäste.    



Sprinter voll!

Slivovic Runde 1.

Aus der Limoflasche. 

Hochzeitsvorbereitung auf kroatisch.

Arme Sau....

Kampfkuscheln.

Planen befestigen.

Danke für die tollen Päckchen :-)