Montag, 21. März 2016

2016_03_18 Idomeni

Idomeni (ks). Saleh stapft vom Zelt in den modrigen Wiesen durch den Schlamm Idomenis. Die Nässe und der Schmodder dringen durch seine alten zerfledderten Schuhe Größe 28, weichen die Treter nur um ein Weiteres auf. Salehs Füßchen sind aufgequollen. Socken? Fehlanzeige. Das Thermometer zeigt an diesem Morgen fünf Grad an. Die Jeans und das Hemdchen sind seit Wochen vom stinkenden Dreck verspritzt. Der Reißverschluss an Salehs rosa Jacke ist gekracht. 
Über 10000 Menschen warten dort nach wie vor, etwa die Hälffte davon sind Kinder. Der Grenzzaun von Mazedonien prangt im Hintergrund. Eine Mutter wäscht das Gesicht ihres etwa zweijährigen Mädchens mit dem Wasser aus einer Lache. Der Boden ist in der warmen Jahreszeit eigentlich ein Maisfeld. Windschief stehen zig Igluzelte darauf. Einige sind mit Rettungsdecken oder alten Planen überzogen, weil sie selbst nicht dicht genug sind. Wasser dringt von unten in die Zelte ein. Kleidung wird auf provisorischen Wäscheleinen an Hecken oder am Stacheldrahtzaun zum Trocknen aufgehängt. Irgendjemand bringt eine Lastwagenladung Holz. Sofort stürzen sich die Flüchtlinge auf die kostbare Fracht. In Mülltonnen werden die Hölzer an die Zelte gekarrt. Manche Menschen laden das Brennmaterial auf alte Laken, schleppen so das koostbare Gut hinter sich her. "Nach zehn Minuten ist alles Holz verschwunden", sagt Tamim auf Englisch, grinst verzweifelt. Der Afghane ist 19 oder 20 Jahre alt, genau weiß er es nicht. Die Männer versuchen mit dem nassen Holz Lagerfeuer anzuzünden. Dazu verhelfen soll alter Plastikmüll, beißend hängt der Qualm in Schwaden über dem gesamten Lager in Idomeni. Sie mischen sich mit dem Nebel der aus der Wiese aufsteigt. 
In der Nacht hatte es wieder geschüttet, jetzt nieselt es nur ganz leicht. Ein fahrender Kioskhändler hat seine Bude geöffnet, Angelus. "Sabach al chaer", sagt Saleh und blickt den Händler hoffnungsvoll an. "Please water", keucht der Kleine heiser, hustet und Angelus bricht es um ein Weiteres das Herz. Wenn niemand sieht, dann verschenkt er Wasser oder auch eine Portion "Patata", Pommes mit Ketchup in einer Alufolie. Die achtjährige Merjem leckt das restliche Fett von der Folie ab. Es wird lebendig im Flüchtlingslager. Unter einem kleinen Pavillon wurden Elektrokabel installiert, dort werden die Handys geladen. Mit etwas Glück kommt man über die beiden Hotspots in dieser Ecke Internetempfang, Kontakt zur Familie. Viele haben Verwandte in Deutschland. 
Nach wochenlangem Ausharren hoffen die Syrer, Aghanen, Pakistani und Iraker endlich weiter nach Alemannia zu kommen. Väter, Mütter und Kinder, die es als Vorrreiter nach Deutschland geschafft haben, werden dort fast verrückt vor Sorge. Auch Salehs Baba ist in Deutschland. Seinen Asylantrag hat er im September gestellt - und wartet noch immer auf Antwort. Zurück kann Salehs Mutter Ahlam nicht. Das Haus in Raqqa wurde von russischen Bomben zerstört. Der Pässe waren im Schutthaufen nicht mehr zu finden. Aber eine Identify Card aus Syrien trägt Ahlam dabei. Die Card wird doch sicher ausreichen, hofft die 28-jährige Geschichtslehrerin. 
"The border is open!", ruft ein junger Syrer und sein Gesicht strahlt. Alle Menschen springen auf und jubeln. Eine Journalistin ist für ein Interview mittendrin. Sie schaut ungläubig auf , wägt ab, sieht die lachenden Gesichter - und bricht vor lauter Erleichterung in Tränen aus. Mit nassen Wangen sucht sie imInternet nach einer Bestätigung. Die kommt nicht. Es war ein Fake. Weiter vorne trifft gerade einer der Hilfstransporter mit Essenstüten in Idomeni ein. Das Team, bestehend aus freiwilligen Helfern quer aus Europa, engagiert sich seit Wochen am Hotspot mit Herzblut und belegten Broten, wo die EU humanitär bitter versagt. Binnen Sekunden wuselt eine Menschentraube um den Van. "Please Mister, more. Baby, Baby", bettelt ein Mohamed, für dessen siebenköpfige Familie ein Essenspaket allein nie ausreicht. Die Bezeichnung "Baby" steht für Kind bis 16 Jahren. Auch Saleh hat sich bis an die Tütenausgabe durchgequetscht. "Schau dir das an, im Dreisekundentakt geben wir 3000 Tüten aus", erzählt einer der Helfer später und deutet auf einen Kurzclip auf dem Smartphone. 
Unter die Flüchtlinge, freiwilligen Helfer, Ärzte, Polizeibeamten und Journalisten haben sich tatsächlich ein paar Touristen mit Kameras gemischt - gucken kommen, wenn man eh schon im Griechenlanndurlaub ist. Ohnmächtige Wut kocht da stöhnend auf. Dafür fahren Privatleute ins Camp, öffnen den Kofferraum, verschenken Decken, Kleidung, Essen und manchmal sind kleine Spielsachen darunter. Ihre Fahrzeuge tragen Autonummern aus Griechenland, Mazedonien und sogar Ungarn. Für 25 Euro pro Person fährt ein Bus nach Athen, nicht alle haben das Geld. "Wo kommen die Menschen in Athen unter?", wird der Busfahrer gefragt. Manche können sich ein Hotel leisten, andere schlafen im Freien, sagt er. Mindestens zwei der anderen Camps sind auch bereits überfüllt. Ahlam harrt mit den Kindern auf jeden Fall aus. Nach der furchtbaren Fahrt über die Ägäis in die Türkei zurück? Das kommt nicht in Frage. 


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