Dienstag, 13. Oktober 2015

2012_10_13 Westbahnhof Wien

Es klopft an die Scheibe meines Sprinters. Emil grinst dahinter und winkt mit der Espresso-Kanne.
Ich krieche aus den Federn und bin nach kurzer Zeit bei meinem guten Nachbarn, einen Abschiedskaffee schlürfen. Heute trennen wir uns endgültig.
Ein Drücken. Machs gut. Take care!

Emil düst Richtung Bayern ab. Ich fahre Richtung Maribor in Slowenien und nehme später Kurs auf Wien.



Radio Hit Antenne Ohr will 13 Uhr ein zweites Interview mit mir. Meine Handyrechnung wird sicher lustig.

Während der Fahrt beschließe ich, dass ich nochmals nach Südeuropa fahren werde. Speziell möchte ich Schuhe und Socken sammeln. Ein Sprinter voller Schuhe, das wärs :-)

Irgendwann treffe ich in Wien ein und das wieder funktionierende Navi führt mich zum Westbahnhof.




Im dritten Stock des Parkhauses ist Platz für Familien geschaffen worden. Ich sehe Kinder spielen und sie tragen Schuhe. Gute warme Schuhe. Mit Socken! Das überwältigt mich echt, aber dieses Mal vor Freude.

Via WLAN melden sich die Gestrandeten bei ihren Angehörigen. "Alles okay, ich bin in Wien. Es geht mir gut". Ein Syrer sitzt unter einer Europakarte und studiert eine weitere Karte. Ich fotografiere die Szene und frage danach, ob ich das Bild verwenden darf. Ich darf. Er erzählt mir seine Geschichte. Er ist Sportlehrer. Von der Türkei aus schwamm er auf die nächste griechische Insel. Fünf Kilometer lagen vor ihm. Aber nach drei Kilometern ging ihm die Kraft aus. Ein griechisches Boot mit Touristen fischte den Syrer aus dem Meer, rette ihn. Er ging die Balkanroute entlang. Sein Ziel ist Italien. Er möchte gerne in Rom leben. Wann fährt der nächste Zug von Wien nach Rom?  



Angekommen.... und nun?

Mohammed Hussein stammt aus Afghanistan und ist seit einem Tag in Wien angekommen. Wie gefällt ihm Europa nach dem ersten Tag? Er mag die bunten Menschen, das Essen, die Häuser, das Treiben...

Warum verließ der junge Mann seine Heimat? Sein Vater und zwei Brüder wurden von den Taliban ermordet. Er wollte nur weg. Etliche Zeit brauchte Mohammed Hussein von Afghanistan  aus bis in die Türkei. Mit dem Boot fuhr er nach Griechenland, aber alles lief gut. Mohammed nahm die Balkanroute. Er möchte nach Deutschland for a better life. Er möchte weiter studieren, Ingenieurwesen. 






Hasan Abdullah kommt aus Afghanistan und mochte nach Belgien oder Schweden. Er hat seine Frau und fünf Kinder dabei. Der vierjährige Hassan klebt an seinem Bein. Er ist Mechaniker und möchte gerne in seinem Beruf arbeiten. Afghanistan - Iran - Turkei - die gefährliche Reise mit dem Boot nach Griechenland - Mazedonien - Serbien - Kroatien - Ungarn - Österreich - Wien Westbahnhof.
Ich werde gefragt, ob es in Deutschland gut zu leben ist.
Was antworte ich?
Nun, wenn er sich als Mechaniker gut anstellt und einen fairen Chef findet, dann hat er sicher gute Chancen.   




In Österreich findet Abdul aus Irak die Leute manchmal zu verrückt. Er kam erst vor wenigen Stunden mit seiner Familie hier an, sagt er. Er wird plötzlich ganz ruhig.
Alles stürzt auf ihn ein. Die Flucht kommt hoch. Er hat so unendlich viel Schlimmes hinter sich. Das Boot, das Laufen, Durst, Hunger, das Leiden der Kinder. Abdul hatte auf der Flucht irre Sorge um seine Kinder, um seine Frau. Kommen alle lebend an? Er hat Angst davor, was ihn hier in Europa erwartet. Da sitzt er in den noch schlammdreckigen und verschwitzten Klamotten.
Kann er in Europa mithalten? Die gut gekleideten Menschen laufen geschäftig an ihm vorbei, Aktentaschen unter dem Arm oder Handtaschen über der Schulter.
Abdul wendet sich zur Seite, damit ihn die Kinder nicht sehen. Er weint leise.






Ein Mann kommt lachend auf mich zu. "I know you", sagt er und zeigt mit dem Zeigefinger auf mich. Mit dabei hat er zwei Jungen und ein kleines Mädchen. Ich erkenne ihn auch wieder. Die Welt erweist sich wieder als Dorf. Es ist der Vater, den ich in Zakany/Ungarn mit seinen Kindern im Zug fotografiert habe. Endlich ist Zeit für ein längeres Gespräch. Khalil heißt er und er ist Künstler.
Wo ist es gut zu leben in Deutschland, werde ich gefragt.
Himmel, was sage ich da?
Ich empfehle ihm, dass er möglichst im Süden bleiben soll. Vielleicht ist für ihn die Ecke um Freiburg im Breisgau gut?
Hier in Wien traf Khalil seinen Neffen, der bereits vor einiger Zeit flüchtete und inzwischen gut Deutsch spricht. Wir machen Fotos, die ich seinem Neffen per Whatsapp auf das Handy schicke.  Hoffentlich geht alles gut mit der Familie und die Mutter kann bald mit dem Flieger nachkommen. Ich hoffe, ich höre noch von Khalil.
  

Khalil mit Sohn und Tochter in Wien. Be welcome!

In Facebook lese ich, dass Magdy, mein Geiger aus Opatovac, in Deutschland angekommen ist. Fünf Tage länger dauerte demnach seine Odyssee. Ich schreibe darunter "Be welcome :-) "
Später erfahre ich, dass Magdy in Meßstetten untergebracht wurde.
Ist das möglich? Das ist nur ein Katzensprung von mir entfernt. Wunderbar!
Ich will Magdy Geige spielen hören.


Familien können sich in Wien im dritten Stockwerk des Parkhauses aufhalten. Kinder die vor ein paar Tagen noch im Schlamm und Regen steckten, spielen jetzt im Warmen und sind satt. Ich stehe da und heule Freudentränen. 









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