Sonntag, 4. Oktober 2015

2015_10_03 5500 Menschen und faule Kartoffeln


Ausgeschlafen, Katzenwäsche und ein dreifach Hoch auf Babyfeuchttücher, Zähneputzen am Feldrand, gurgeln mit Mineralwasser.

Mit Emil und Caro (Namen geändert), einer Helferin aus Spanien, fahren wir nach Ilok und an einen Grenzübergang zu Serbien. Caro hat ihren Personalausweis nicht dabei, aber es stellt sich heraus, dass wir für Serbien ohnehin einen Reisepass benötigen. Den habe ich zu Hause, verdammt. Leicht machen die Serben einem die Flüchtlingshilfe nicht. Man hat mehr das Gefühl, dass bewusst Steine in den Weg gelegt werden.



An einem wunderschönen Platz an der Donau halten wir kurz. Durchschnaufen.

Dann heißt es Weiterfahrt Richtung Bapska, um uns dort einen Einblick vom Grenzübergang zu verschaffen. In der Nähe sind verminte Felder. Die gefährlichen Überreste des Krieges aus 1991 sollte man tunlichst meiden, nicht betreten.

Bapska: Zwei bis drei Kilometer lang ist die Straße, die Grenzüberquerung. Rechts und links säumen Maisfelder den Weg, weiter vorne ein Friedhof. Im Schutz der Hecken hatten Flüchtlinge vor ein paar Wochen dort wohl schon auf den Gräbern geschlafen. Besser ein kleines Kind unter einen Busch legen als frei in die Natur. Gruselig die Vorstellung. Die armen Menschen.

Der Mix aus verschwitzten Körpern, Kot zwischen den Maisfeldern, Urin und Dreck ergibt als Quintessenz den süßlichen Geruch faulender Kartoffeln.



Als wir ankommen sehen wir zuerst die Fahrzeuge der Volunteers. Sie bieten Klamotten in Pavillons an. Viele Flüchtlinge kommen in Flipflops an – rund um die Uhr. Getränke und Snacks gibt es, aber es darf nichts Warmes ausgeschenkt werden.

Am Abend zuvor zogen hier 5500 Flüchtlinge durch. Das nenne ich eine Herausforderung. Ich sehe Rotes Kreuz aus Schweden. Helfer des RC begrüßen sie. Immerhin.   

Ich habe eine Warnweste vom Roten Kreuz aus Kroatien bekommen. Damit kann ich mich freier bewegen. Volunteers kochen gerade einen riesigen Topf Kaffee. Wir trinken einen, bevor wir wieder nach Opatovac zurück fahren.





In unserer „Mode-Boutique“ im grünen Sektor sortieren wir die Wäsche schön, um für den großen Ansturm gewappnet zu sein. Die Idee kommt auf Wäscheleinen zu spannen, so dass wir mehr Platz bekommen. Alles ist viel zu beengt.  Der Ansturm kommt. Und wie. Hunderte Flüchtlinge wollen in den Pavillon drängen. Ich frage zwei Polizistinnen um Hilfe, vor dem Zelt sorgen sie für Ruhe. Die Uniform verschafft Respekt. Die Flüchtlinge brauchen „Skuts“, aber wir haben kaum Schuhe. Mit Pyjama meinen sie Jogginghosen, Jacketts sind warme Jacken.

Ein syrischer Herr kommt ans Zelt. Ich spüre, dass es ihm unangenehm ist zu betteln, aber er schlottert still vor sich hin. Ich gebe ihm einen Pullover. Viel zu groß, aber wir haben nur große Größen. Europäer haben andere Körpermaße. Er bedankt sich und ich gebe ihm noch Pflaster mit, man weiß nie.

Ein Kind braucht Schuhe. Ein weißes Paar Größe 26 trägt es an den Füßen, klatschnass. Keine Socken. Die Füße der kleinen Maus sind aufgequollen und haben rote Flecken vom Reiben und einen Hautausschlag. Die Kleine braucht normal Größe 28. Ich finde ein super Stiefelchen, sogar gefüttert. Es passt wie angegossen. Nur der zweite Schuh ist nicht auffindbar. Ich will schreien. Wir finden ein Paar Turnschuhe, nicht so ideal, aber okay.



Hinter mir jubelt ein etwa vierjähriger Knirps auf. Er hat ein Paar Socken gefunden, sogar bunte! Warme Socken! Er strahlt mich glücklich an. Hat mich jemals zuvor ein Kind wegen Socken so dankbar angestrahlt?   



Wir sollen uns akkreditieren lassen. Einen Tag später sind wir offizielle Mitarbeiter des Roten Kreuzes Kroatien (RC). Das freut mich.

Der große Ansturm reißt nicht ab. Fast 6000 Menschen. Syrer, Afghanen, Iraker. Schnell erkenne ich sie am Aussehen und auch am Verhalten. Die Syrer sehr zurückhaltend, anständig, gebildet, höflich. Die Afghanen sind offensiver. »Weshalb flieht ihr?«, frage ich einen jungen Afghanen. Es ist kein Leben möglich mit den Taliban, erfahre ich. Zwei seiner Brüder wurden bereits umgebracht und der Vater auch, erfahre ich. Na klar, da wollte ich auch nicht bleiben.   

Alle paar Minuten treffen die Busse mit Flüchtlingen in Opatovac ein. Hunger Durst und alle sind sie viel zu kalt angezogen. Das Thermometer zeigt nur zwischen fünf und zehn Grad an. Wieder sehe ich Flipflops. Kleine Kinder stehen barfuß und nur mit Windel und Shirt bekleidet nachts um drei Uhr auf dem eisigen Boden. Weinen.

Die Menschen werden durch die Zelte geschleust und registriert.

Wo kommt Ihr her?

Wo wollt Ihr hin?

Wir verteilen Kraftriegel, Bananen, Schokolade, Wasser.

Braucht jemand einen Arzt?

Gibt es ansteckende Krankheiten?

Wir werden darauf hingewiesen: Es grassieren verschiedene Sorten Candida, Läuse und Krätze. Es wird empfohlen Mundschutz und Handschuhe zu tragen. Mit Mundschutz kann ich keinem Kind ein Lächeln schenken, so verzichte ich darauf. Handschuhe kann ich sowieso nicht leiden. Aber regelmäßig desinfiziere ich meine Hände. Und Kasper wird desinfiziert, der immer im meiner Jackentasche ist, bereit für seinen Einsatz. »Salem«, sagt Kasper zu den Kindern und winkt.

Und Kasper winkt den Erwachsenen zu.

Und sogar Polizeibeamte winken der Handpuppe fröhlich zurück.

Ich trage einen schwarzen Filzhut. Um den habe ich ein pinkes Tuch aus der »Mode-Boutique« gebunden. Ein Flüchtling steckte mir eine Plastikrose in die Krempe. Ich bin die Durchgeknallte, aber das nehme ich in Kauf. Wenn ich den Kasper zücke, ist die schrecklich angespannte Atmosphäre eine gelöst.

Von vielen Kindern spüre ich Traumatisierungen. Ein anderes Kind steht wieder barfuß da. Ich will losrennen und Kleidung besorgen. Die Mutter zeigt mir an, dass sie Kleidung habe. Ich nötige sie dazu, dass sie das Kind warm anzieht. Sie selbst ist warm gekleidet. Die Mutter ist selbst traumatisiert, so dass sie die Not des Kindes gar nicht mehr wahr nimmt.

Eine große und beeindruckend stolz wirkende Afrikanerin kommt mit Socken und Flipflops an. Sie trägt einen schreienden Säugling, sucht einen Platz, an dem sie das Baby stillen kann.
Um fünf Uhr morgens bin ich erschöpft. Der Nerv in der Schulter pocht, ich werfe eine zweite Ibuprofen ein. Ich muss ins Bett. Trotzdem kommen weiter die Busse ans Camp gefahren. Kraftlos und mit schlechtem Gewissen falle ich auf meine Matratze. 

Der Nordosten Kroatiens.

Donau

Donau

Die Mode-Boutique



Was heißt Mütze?


Schuhe gibt es nur für Leute, die gar keine haben.
In der Mode-Boutique.

Noch ein Teil Klamottenlager.

Sortierarbeit. Highheels und Sommerkleider werden aussortiert.

Die Nachbarn bauen ein Zelt auf. 

Zehn Minuten später....


In Bapska





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen