Montag, 12. Oktober 2015

2015_10_12 Ungarische Grenze, Zakany

Am Vorabend fuhr ich noch von Tovarnik nach Ilok an den äußersten Zipfel des Landes. Einen ruhigen Schlafplatz finde ich direkt an der Donau.



Ich weiß, dass mein Ziel heute der ungarische Grenzübergang bei Zakany sein soll. Rund 300 Kilometer liegen vor mir. In einem Weingut kaufe ich noch ein paar Liter Rebensaft - man muss die Bevölkerung unterstützen ;-)


Auf dem Rückweg fahre ich nochmals an Opatovac vorbei. Sehe die Busse, die Zelte, das Militär. Ich stoppe nicht.
Das Navi redet Quark und so fahre ich nach der Karte. Irgendwie haben wir das früher immer so gemacht. Bald schon komme ich an die Grenze nach Ungarn und darf dann gleich fast zehn Euro Autobahngebühr berappen, der Tagtessatz für den Sprinter. Weiter geht es bald nur auf der Landstraße über ärmlich wirkende Dörfer. Die Häuser sehen schlimm aus, oft sind sie ganz verlassen. Wäre ich hier, bräuchte ich als erstes einen Baumarkt.

Abends treffe ich in Zakany ein. Ich frage nach den Flüchtlingen und werde in die nächstgrößere Stadt geschickt. Dem Rat folge ich nicht und das ist gut so. Ich sehe eine dunkle Gasse die sicher zu Bahngleisen führt. Die fahre ich rein.

Bei den Bahngleisen stehen zwei Jungs. Habt ihr hier Flüchtlinge gesehen? Entlang der Gleise liegen Sardinendosen, gebrauchte Windeln und zerfledderte Regencapes.

Ein Mann kommt über die Schienen gelaufen, interessiert sich für mich. Ich sage ihm, dass ich mit einem Hilfstransport in Opatovac komme.
Sein Gesicht leuchtet auf: "HAST DU ESSEN DABEI?".
Nein, leider nicht. Er ist auch freiwilliger Helfer beim Roten Kreuz aus dem Ort. Das Elend ist für ihn kaum mehr zu ertragen.

Im Augenwinkel sehe ich ein weißes Auto anfahren. Jetzt gibt es sicher gleich Zoff und ich werde verjagt. Ich versuche noch, so viel Infos wie möglich zu bekommen und weiß, dass eine Person auf uns zu geht. Irgendwann drehe ich mich doch um.
Da steht der Emil, grinst mich breit an und sagt: "Man sieht sich immer zwei Mal".
Gibt es das? Quer durch Ungarn und im letzten Loch eines Orts treffen wir uns wieder.
Da kommt ein Zug und etliche Flüchtlinge winken raus. Kurz hält die Lok.
Die Menschen rufen "Danke" und "Thank you". Weswegen eigentlich?
Ich zücke den Kasper aus der Tasche.
Ein Mann und seine zwei Kinder schauen aus einem Fenster raus. Ihre Augen leuchten.
Wo kommt Ihr her? - Syria
Wo wollt Ihr hin? - Alemania
Sind das Deine Kinder? - Ja
Wo ist deine Frau? - Sie blieb zu Hause, sie ist krank und soll mit dem Flugzeug nachkommen.
Darf ich ein Foto von Euch machen? - Ja
Habt Ihr genug zu Essen? - Nein, wir haben Hunger.
Habt Ihr genug Wasser? - Ja, das ist ausreichend da.
Gibt es Toiletten? - Längst nicht ausreichend und der Zustand ist verheerend.   
Ich muss weiter. Machts gut! Passt auf Euch auf! Take care! Bye, bye!
Ich laufe mit Kasper den Zug entlang. Die Kinder flippen aus. Die Erwachsenen lachen.
Der Zug fährt los. Wohin?
Irgendwo an den St. Gotthard wohl, sagt jemand.

Emil und ich wollen weiter den Bahnhof erkunden wollen.
So große Schlaglöcher habe ich noch nicht gesehen. Der Regen der vergangenen Tage füllte sie mit Wasser. So gut es geht fahren wir Slalom rund um und quer durch die gigantischen Pfützen. Hoffentlich wird mein Sprinter innen nicht nass.
Hallo Ungarn, wie wäre es mal mit einer Ladung Schotter?

Vor einem Bahnübergang parken wir, der Emil und ich, mit unseren Sprintern. Wir überqueren die Schienen. Dort entdecken wir einen Pavillon. Ein Mann mit gelber Warnweste richtet darin Essenspakete. Kollegen quasi. Sie sind auch als Volunteers aktiv.  Ein junger Mann aus Berlin ist dabhei. Er ist arbeitslos, hat eh gerade Zeit und will sie sinnvoll füllen.
"Habt Ihr Essen dabei?" - Leider nein.
Die Volunteers bekommen auch Essensspenden aus der Bevölkerung. Es gibt eine ganze Menge guter Menschen in Ungarn, die das Elend auch nicht mit ansehen können.

Wie kommen die Flüchtlinge an den Bahnhof?
Wir sehen einen matschigen Weg. Er ist aufgeweicht und schlammig vom vielen Regen. Knöcheltief sinkt man hier in den Boden ein. Mir fällt die alte Frau ein, die keinen Schritt vor den anderen setzen konnte und einen Rollstuhl brauchte. Das Mädchen in den Hausschuhen. In Gedanken sehe ich den kleinen Buben mit seinem noch kleineren Bruder an der Hand durch den kalten Matsch stampfen. Der alte Herr mit der Silberbrille. Vielleicht konnte er sich an jemandem festhalten?
Ich denke an den Einbeinigen auf Krücken. Der stand vor ein paar Tagen in Opatovac im grünen Sektor, angelehnt auf seine Krücken. Um ihn herum standen ein paar Freunde. "Wie siehst du denn schon wieder aus?", sagte ich seufzend mit meinem badisch-schwäbisch-Mix und es war mir egal. "Da stehst Du mit der dreckigen Jogginghose über dem heilen Bein. Und der Kittel ist auch noch zu dünn. Du brauchst eine Jacke mehr, frierst doch. Was ist überhaupt mit deinem Bein passiert?" - Push, bomb, in Syria. Er zuckt die Schultern. Seine Freunde sahen genauso zerlumpt und müde aus, aber wenigstens waren sie noch komplett. Wie er so da stand auf seinen Krücken... Dieser Scheiß Krieg. Mir kullerten die Tränen über die Wangen.
"Sorry Madame,... for us...", sagte ein Kumpel und zeigte in die Runde. Ich winkte ab. "I'm a journalist in Germany", gestand ich. - "Please Madame, write about all these things here", bittete mich ein anderer Freund. Ich schaute ihnen in die Gesichter und nickte!     

Aber wir stehen am Schlammweg am Bahnhof in Zakany. Daneben stehen drei Klobolde. Die Flüchtlinge dürfen dort nicht ihre Notdurft verrichten. Die Klobolde sind nur für die Polizisten.
Dürfen wir den Flüchtlingen entgegen gehen? Sie am Grenzzaun abholen und begleiten?
Dürfen wir nicht, erklärt uns die Polizei.
Ein junger Polizist spricht Deutsch. "Wie denken Sie über die Entscheidungen Viktor Orbans?", frage ich frech. Einen Moment ist Pause. Dann sagt er, dass er sich dazu nicht äußern will. Überrascht bin ich nicht. Das Mitleid mit den Menschen sieht man dem Polizist an. Man sieht es allen an, die mit den Flüchtlingen arbeiten - sofern ihre Herzen keine Steinklumpen sind.
Wann treffen die nächsten Flüchtlinge ein? Um 23 Uhr, teilt man uns mit.

Emil und ich schauen uns an. Das wird zu spät. Wir müssten noch zweieinhalb Stunden warten. Wir gehen.
Mit den Sprintern schaffen wir es wieder über den Schlaglochweg hinaus. Nach zwei drei Orten findet Emil einen guten Stellplatz für uns. Wir stehen zwischen zwei verwaisten Bussen und unterhalb einer hübschen Kirche. Emil lädt mich zum Abendessen ein, ich habe noch vier Dosen Bier im Auto. Wir essen viel zu viel, trinken und irgendwann verziehe ich mich in mein Revier.
Vor meinen Augen sehe ich vor mir diesen schlammigen Weg in Zakany und eine schwangere Frau stürzt gerade in den Morast.     
  



















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