Samstag, 10. Oktober 2015

2015_10_10 heiße Duschen und ein Katastrophenabend


Ein super praktisch veranlagtes Team aus Niederösterreich ist angerückt. Die Leute haben mit Holz und Werkzeug ein geniales Lager aufgebaut. Das ist fast eine Zimmermannsarbeit. Wow.
Für den Abend sind 50 Helfer angemeldet. Wo sollen die alle hin? Okay, ein Großteil fährt weiter Richtung Presevo, Grenze Mazedonien-Serbien.
Heute Mittag darf ich mit einer weiteren Helferin bei einer Bekannten eine Dusche genießen. Nach zehn Tagen Katzenwäsche stehe ich einer heißen Dusche – und möchte am liebsten gar nicht mehr raus. Habe mir zur Feier des Tages frische Kleider gegönnt. Unsere Gesichter glühen. Der Körper reagiert angenehm schrill.

Kontrastprogramm:
Im Lager stehen die Kinder im Regen. Ich sehe einen Vater mit kleinem Mädchen auf dem Arm. Das Mädchen, etwa eineinhalb Jahre alt, es weint bitter. Ich beruhigte das Kind mit Kasper und zu meiner Überraschung ist es sogar still.
Da kommt ein Helfer vom RC mit einem Megaphon an und schreit den Vater nur einen Meter von ihm entfernt, er soll gefälligst dafür sorgen, dass sein Kind still ist.
Vollpfosten!
Die Kleine bricht natürlich wieder in Tränen aus. Aber das ist erst der Anfang.

Ein mehr als katastrophaler Abend folgt:
Die Leute stehen stundenlang im Starkregen. Die Regencapes sind längst zerrissen. Genügend Capes sind keine da, bzw. werden nicht ausgeteilt. Ich weiß nicht, warum das RC nicht mehr Capes verteilt. Warum greift Unicef nicht ein? Warum lässt man die Menschen nicht in den trockenen Zelten? Stattdessen stehen sie einmal mehr wie Vieh eingekesselt da. Fassungslos schaue ich zu und kann nichts unternehmen. 
Oder doch? 
Ich packe eine Schachtel und suche sämtliche Capes zusammen. In unserer Mode-Boutique geht gerade die Post ab, die wird bestürmt. Von dort kann niemand helfen.So verteile ich eben alle Capes die ich habe. Nur an Kinder. Sorry, ich habe nicht genugf davon. 

Ich renne zum RC. Ist das zu fassen? Die Helfer stehen an ihrem Platz herum. 
WO seid ihr? WARUM helft Ihr nicht? Kommt mit und packt an, fordere ich sie auf. 
Keiner reagiert. 
Ihr steht da, die Flüchtlinge brauchen dringend Hilfe. Und zwar genau JETZT. Kinder sind nass bis auf die Haut, die Füße in nassen Schuhen.
Und ihr kommt einfach nicht?
Ich fasse es nicht. 

Bin ich im falschen Film? 

Eine Gruppe Menschen wird wieder heraus getrieben, soll Aufstellung für den Bus nehmen. Die Haare sind längst klatschnass geregnet. Es ist kalt. Einige Leute aus der Gruppe sträuben sich. 
Warum das denn? 
Na klar, Familienangehörige sind noch auf der anderen Seite des Gatters. Bloß nicht noch die Familie verlieren. Die Polizei lässt die Vorangegangenen an der Seite warten.
Hoffentlich wird niemand zerquetscht.



Es regnet noch stärker. Wimmernd zerbrechen kleine Seelen. Narben werden wachsen, irgendwann. Aber welche Langzeitfolgen hat das Drama dieser heutigen Nacht? Besonders für die Kinder? 
Und das hier in Opatovac ist doch nur eine kleine Etappe auf dem Weg ins gelobte Land. In ein besseres Leben. Der widerlich braune Mob rumort derweil in Deutschland. 

Warum fahren die Busse nicht einfach?  
Der Stresspegel ist fürchterlich hoch.
Wenn die Busse endlich fahren, dann passieren sie zerschossene Häuser. Ist das nicht paradox? Da kommen die Menschen aus dem Krieg und fahren auf der Flucht noch an zerschossenen Häusern vorbei. 

Ein Kind steht vom Regen und mehr noch von den Tränen aufgeweicht im Gedränge, bekleidet mit Trainingshose, Pulli, ohne Jacke und mit blanken Füßen in den viel zu kleinen Turnschuhen. Vor lauter Panik erbricht sich ein Mädchen. Chaos pur...
 
Ein Polizist verliert die Nerven. Er treibt die auf ihre Angehörigen wartenden Menschen zusammen und drängt sie in den Bus. Ich fahre dazwischen. „You split familys!“, rufe ich mehrmals und mit Nachdruck. Der eine Polizist hört mir nicht zu, aber dafür andere seiner Kollegen. Der Stellenwert der Familie ist den Kroaten ein hoher. So trennt nur dieser eine Bus die Familien und nicht noch mehr.        

Mein Verstand meldet sich. 
Ich bin platt und muss schlafen. Mein Wecker wird um 2.30 Uhr klingeln.
Hunderte Menschen stehen noch im Regen. Ich fühle mich gänzlich zerrissen.   

Zusammengepfercht wie Vieh.

Über Stunden hinweg mit kleinen Kindern.



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