Sonntag, 11. Oktober 2015

2015_10_11 zerschossenes Vukovar und Abtransport am Bahnhof in Tovarnik

Mit Willem aus Belgien schiebe ich die Schicht von 3 bis 6 Uhr.
Es läuft anfangs ruhig.
Der grüne Sektor wurde geleert. Unsere Klamottenkisten weisen auch gähnende Leere auf. MIt dem Schubkarren besorgt Willem mehrere Fuhren Nachschub.
Wie geht es den durchnässten Menschen der vergangenen Nacht jetzt?

Es drängt mich nach der Schicht. Ich muss weg und ich brauche den Kopf frei. Personell ist das Team gut besetzt. Ein Kaffee, ich packe, verabschiede mich und fahre los.

Wohin eigentlich?  
Am Ende des Weges entscheide ich erst, dass es Richtung Vukovar gehen soll. Ich werde mir die Überreste des Krieges anschauen.
Um  kurz nach 12 Uhr stehe ich an einem Friedhof vor unzählöigen weißen Kreuzen. 938 Menschen wurden ermordet und im zweitgrößten Massengrab Kroatiens verbuddelt. Darum herum wurden leere Gräber für die vermissten Personen angelegt. Eine Gruppe Veteranen läuft mit einer Fahne ein und legt einen Kranz nieder. Es regnet.
Auch an den Kroaten passierten schreckliche Morde. Aha, deshalb ist das Verständnis der Kroaten für die Syrer so hoch? 
Verrückt, dass ausgerechnet hier die heutigen Kriegsflüchtlinge stranden. Die Wege kreuzen sich.
Ich friere.
So viel Leid passierte hier. Das Land schrie vor Schmerz. Welchen Unsinn Kriege doch sind.

Ein Wachposten vom Friedhof erzählt mir, dass seine Eltern mit ihm damals nach Deutschland flüchteten. "Ich war selbst ein Kriegsflüchtling". Die Familie lebte bei Überlingen am Bodensee. Nach ein paar Jahren zogen sie zurück in die Heimat.



Veteranen

Namenlose Gräber für die Verschollenen.

Denkmal für die Toten.

Weitere Opfer.



Massengrab


Ich fahre weiter nach Vukovar und zücke erstmals meine große Kamera. Es regnet noch immer, aber trotzdem fotografiere ich die zerschossenen Häuser und den Wasserturm. Ein Eckhaus ist eine besonders mitgenommene Ruine. Die Fenster wurden mit Geranien geschmückt.
In einem Restaurant daneben trinke ich einen Kaffee und esse eine Kleinigkeit.
Wie gehe ich weiter vor?



Blumenschmuck am zerschossenen Haus.




Heute Abend werde ich nach Tovarnik an den Bahnhof fahren. Ich möchte sehen, wie die Flüchtlinge von dort aus weiter fahren.
Um 17.30 Uhr treffe ich am Bahnhof ein und parke frech auf dem besten Platz und direkt neben der Polizei. Ich warte 2,5 Stunden und nicke ein. Ich habe meine Regenjacke an, die Weste als RC-Helfer darüber. Ein Polizist schaut fragend zu mir herein. Ich halte ihm meinen Ausweis vor die Nase. Er nickt freundlich. Im Polizeiwagen tönt laute Rockmusik aus dem Radio. Ich grinse breit.

Es regnet noch immer und ich stelle mir vor, wie die Menschen wieder durchnässt im Regen warten. Alle stehen unter immensem Stress. Dasselbe wahnsinnige Spiel beginnt von vorn. Die Flüchtenden sind nur die Marionetten dieses Krieges. Marionetten mit Flipflops an den Füßen. Die Kälte sind sie nicht gewohnt. Manche haben noch nie Schnee gesehen.
Ich grüble darüber.

Warum findet der Abtransport nachts statt? Im Dunkeln. Es erinnert an eine Deportation, an Konzentrationslager. Andererseits sehe ich ein, dass bei 5500 Menschen täglich klare Ansagen nötig sind. Aber so hart?

Um 18.19 Uhr fährt eine Lokomotive mit minimum 14 Waggons ein. Die Spannung steigt.

Wie lange werde ich später geduldet werden?

19.42 Uhr fährt ein großes Polizeiaufgebot ein.

Um 20.04 Uhr fährt der erste Bus ein.
Es geht los.
Ich steige aus dem Auto.
Kasper kommt mit.

Kasper begrüßt die Kinder - und die Polizeibeamten lachen.
Die Familien suchen ihre Gepäckstücke und die Kinder zusammen. Stellen sich auf der linken Seite auf. Die einzelnen Männer stehen hintereinander auf der anderen Seite.
Die Familien sollen loslaufen. Für den Stand mit Toastbrot, Fischdosen, Obst und Wasser bleibt kaum Zeit. Der Regen weicht die Toastbrote auf. Hier wäre auch ein Pavillon sinnvoll.
Die erste Stufe in den Zug ist mindestens kniehoch. Wie schaffen das die Behinderten, die Kinder und vor allem die Alten?
Die erste Busladung ist im Zug und ich bekomme einen festen Platz zugewiesen.
Ein Polizist erzählt mir, dass er selbst als Flüchtling in Deutschland war. 1991 irgendwo bei Hannover kam er unter. Er spricht gut deutsch und freut sich, mich zu sehen. Ich bekomme sogar einen Kaffee spendiert und darf mich in einem Aufenthaltsraum mit einem Dutzend weiterer Polizeibeamter aufhalten. Ich lerne, dass die Polizei vom Volk geliebt wird. Die Polizei habe denselben Stellenwert, wie die Bundesliga für die Deutschen. 

Der nächste Bus kommt und das Prozedere beginnt von vorne. Insgesamt werden 30 Busse in dieser Nacht von Opatiovac nach Tovarnik an den Bahnhof fahren. Ihre Fracht sind 1700 durchnässte und verängstigte Menschen mit der Hoffnung auf ein friedliches Leben.     

 
Der Bahnhof von Tovarnik.


 


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